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Titelthema zur Krise
                           Lokale Wertschöpfungsprozesse


                           müssen gestärkt werden



                           TRANSFORMATION Die Energiekrise verschärft die vorherrschenden Probleme

                           Krieg in der Ukraine sowie
                           Sanktionen gegen Russland, die
                           Folgen von über zwei Jahren
                           Pandemie, massiv steigende
                           Energie- und Lebensmittel-
                           preise – und nach wie vor stellt
                           sich die Ausgangslage für die
                           saarländische Wirtschaft
                           aufgrund der anhaltenden
                           Transformations- beziehungs-
                           weise Strukturwandelprozesse                                                          Foto: Adobe Stock/Sanderstock
                           als besonders prekär dar.
                           Von Jonas Boos

                           Es scheint etwas überraschend,   Die  Energiewende  ist  unvermeidbar.  Entsprechende  Produktions-
                           dass die saarländische Industrie   unternehmen   im   Saarland   anzusiedeln,   könnte   künftige
                           im ersten Halbjahr ihre Produk-  Wertschöpfung in die Region bringen.
                           tion  leicht  steigern  konnte  (ein
                           Plus von 0,7 Prozent gegenüber   kommen insbesondere kriegs-,   Die Coronakrise und der Ukra-
                           dem  ersten  Halbjahr  2021),  die   aber auch sanktionsbedingte   ine-Krieg  machen  deutlich,  wie
                           industriellen Umsätze stiegen   Liefer- und Logistikprobleme so-  schnell globale Lieferketten und
                           sogar  um  18,3  Prozent.  Diese   wie verteuerte Preise für Gas und   internationale Handelsbeziehun-
                           Zahlen dürfen allerdings nicht   Rohöl  hinzu.  Darunter  leidet vor   gen unter Druck geraten können.
                           darüber hinwegtäuschen, dass   allem auch die Exportindustrie,   Die Abhängigkeit  von  kritischen
                           sich die saarländische Industrie   welche – neben der relativen   Waren wie beispielsweise Halb-
                           im Krisenmodus befindet. Insbe-  Lohnzurückhaltung der Beschäf-  leitern oder die  Versorgung mit
                           sondere die Schlüsselindustrien   tigten – stark auf billiger Energie   Energie  verschärfen die hierzu-
                           an der Saar (Automotive, Maschi-  aus Russland beruhte. Insge-  lande vorherrschenden  Prob-
                           nenbau  und  Metallgewerbe)   samt sind die Anteile der Ukraine   leme kurz- bis mittelfristig. Um
                           kämpfen  seit  Jahren  mit  enor-  und Russlands am saarländi-  langfristig weniger verwundbar
                           men Herausforderungen: geo-   schen Außenhandel zwar relativ   zu  sein,  muss  die  Landesregie-
                           politische Unsicherheiten und   klein, dennoch ist die saarländi-  rung die aktive Rolle des Staates
                           Überkapazitäten auf dem Welt-                              annehmen und eine beteili-
                           markt, Standortkonkurrenz und   Produktionsunternehmen für   gungsorientierte   Transformati-
                           neue Wettbewerber,  Abhängig-  die Energiewende ansiedeln  onspolitik  unter  der  Leitlinie
                           keiten  durch  Just-in-Time-Pro-                           „Gute  Arbeit, soziale Gerechtig-
                           duktion  und  von  Rohstoffliefe-  sche  Wirtschaft aufgrund ihrer   keit sowie ökologische Nachhal-
                           rungen,  Digitalisierung  und  ver-  Branchenstruktur relativ stark   tigkeit“ betreiben.
                           änderte Kompetenzanforderun-  betroffen. Insbesondere energie-  Statt auf eine angeblich hei-
                           gen, fehlende Unternehmens-   intensive  Industriezweige, wie   lende  Wirkung des globalisier-
                           zentralen und häufige Eindimen-  die saarländische Stahlindustrie,   ten  Marktes  (mit  all  seinen  Risi-
                           sionalität in der Produktpalette   sind von steigenden Energieprei-  ken) zu hoffen, muss es heute die
                           sowie notwendige klimapoliti-  sen  betroffen.  Auch  gelten  die   Aufgabe sein, lokale Wertschöp-
                           sche Umstellungen in der Pro-  saarländischen Schlüsselindust-  fungsprozesse auszubauen und
                           duktion. In  der Folge  wurden   rien  als  besonders  störungsan-  die Resilienz der saarländischen
                           zwischen  2015  und  2021  rund   fällig, da einzelne Zulieferer mit   Wirtschaft insgesamt zu stärken.
                           9.400 sozialversicherungspflich-  hohem Spezialisierungsgrad nur   Zielführend  wäre es beispiels-
                           tige  Jobs  in  der  saarländischen   schwer neu zu organisieren sind.   weise Produktionsunternehmen
                           Industrie  abgebaut  (ein  Minus   Russland  gilt  etwa  als  größter   für die Energiewende im Saar-
                           von  9,5  Prozent),  im  bisherigen   Lieferant von Palladium, das un-  land anzusiedeln, um zukünftige
                           Jahresverlauf  weitere  rund  500   ter anderem in Katalysatoren   Wertschöpfung in die Region zu
                           Arbeitsplätze.                zum  Einsatz  kommt.  Störungen   bringen und  gut entlohnte und
                             Der Ukraine-Krieg belastet die   in  solchen  Lieferketten  können   mitbestimmte Arbeitsplätze  zu
                           wirtschaftlichen Aktivitäten  nun   zu Beeinträchtigungen in vorge-  schaffen.
                           zusätzlich. Zu den pandemiebe-  lagerten Produktionsstufen auch
                           dingten   Lieferschwierigkeiten   in Zuliefererbetrieben im Saar-  Jonas Boos ist Referent für
                           bei  wichtigen  Vorprodukten  land führen.                 Konjunktur- und Strukturpolitik.


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