Page 29 - AK-Konkret 2|2025 | AK-SPEZIAL „Für junge Leute“
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Arbeitswelten
               Es riecht gut und man sieht,



                       was man geschafft hat




                                 PORTRÄT  Carolin Kessler ist Bäcker-Gesellin

                                  Von Katja Sponholz (Text) und Pasquale D‘Angiolillo (Foto)
        Das Lied „Backe backe Kuchen“ hat für Carolin Kessler   „Unter Umständen mache ich dann zehn Mal eine an-
        vermutlich eine besondere Bedeutung. „Schon als Kind    dere Erfahrung und lerne dadurch wieder dazu.“ Und
        habe ich gerne gebacken. Und ich hatte immer schon      Entwicklung  und  eigene  Kreativität  sei  bei  „Brot  und
        ein ganz besonderes Interesse an den Rohstoffen“, sagt   Sinne“ absolut erwünscht: „Unser Chef ist sehr innova-
        die 42-Jährige. Doch bis sie aus ihrer Vorliebe einen Be-  tiv. Hier ist immer Raum für Vorschläge, und wir dürfen
        ruf machen und sich damit zugleich einen Traum er-      uns alle einbringen.“
        füllen konnte, vergingen nicht nur Jahre, sondern Jahr-
        zehnte. Denn zunächst arbeitete sie als Sozialversiche-  Den Besuch einer Meisterschule plant sie nicht, weiter-
        rungsfachangestellte  bei  der  Berufsgenossenschaft.   bilden will sie sich jedoch auf jeden Fall – „betriebswirt-
        Erst als ihre vier Kinder „aus dem Gröbsten raus“ gewe-  schaftlich oder was Personal angeht“. Schon jetzt enga-
        sen  seien,  zog  sie  die  Konsequenzen  dar-                   giert sie sich über den normalen Job hinaus:
        aus, dass sie in ihrem Beruf „todunglücklich“   Ich empfehle jedem,   Als  Ausbildungsbotschafterin für das Bä-
        war: Erst schnupperte sie für einen Monat in   in der Berufslebens-  ckerhandwerk  und  im  eigenen  Betrieb  als
        den Bäckerei-Betrieb „Brot und Sinne“, dann                      Hygienebeauftragte. Gerade in diesem Be-
        startete sie hier kurzerhand ihre Ausbildung   Mitte zu schauen, ob   reich kommt ihr da ihre Verwaltungserfah-
        zur  Bäckerin.  Im  Sommer  2024  wurde  sie   es mir eigentlich noch   rung  zugute.  „Es  ist  nicht  so,  dass  meine
        nach einer  verkürzten  Ausbildung über-  gut geht mit dem, was   berufliche Vergangenheit nicht von irgend-
        nommen – und ist seitdem vor allem eines:   ich mache.           einem Vorteil war“, sagt sie. Viele Arbeiten
        glücklich.                                                       könne sie dadurch schneller erledigen.

        Und das liegt nicht nur an der Wertschät-                        Und noch etwas hat sie dabei gelernt und
        zung, die sie in diesem Betrieb erfährt oder                     gibt sie Älteren mit auf den Weg: „Ich emp-
        der tollen  Team-Arbeit, sondern auch an                         fehle jedem, in der Berufslebens-Mitte zu
        ihrer Arbeit selbst: „Es ist die ganze Umge-                     schauen, ob es mir eigentlich noch gut mit
        bung, die diesen Beruf für meine Sinne so                        dem  geht, was  ich  mache.  Und  dass  man
        attraktiv macht“, sagt Kessler. „Es ist warm, es riecht gut,   sich das einfach wert ist und etwas Neues ausprobiert.“
        und  am  Ende  eines  Tages  sieht  man,  was  man  ge-  Bereut  hat  die  Bäckerin  ihren  beruflichen  Neuanfang
        schafft hat. Dann geht man ohne Last nach Hause!“ Und   keinen Moment, auch, wenn sie weniger Geld als in ih-
        was ist mit den Arbeitszeiten, die den Beruf doch ei-   rem alten Beruf verdient: „Wenn für mich Arbeit nur eine
        gentlich so unattraktiv machen? „Bei uns ist das an-    unangenehme  Unterbrechung  der  Freizeit  ist,  an  der
        ders“, sagt Kessler. Denn bei „Brot und Sinne“ von Thilo   ich  mich  jeden  Tag  quälen  würde,  dann  nutzen  mir
        Nast werde viel Wert auf familienfreundliche Arbeits-   3- oder 400 Euro mehr auch nichts.“
        zeiten  und  flexible  Lösungen  gelegt.  So  beginnt  der
        normale Schichtbetrieb zwischen 5 und 8 Uhr, sams-
        tags um 4 Uhr. „Aber man ist ja nicht jeden Samstag an
        der  Reihe“,  sagt  die  Gesellin.  Sie  selbst  arbeitet  zwi-
        schen 25 und 30 Stunden in der Woche jeweils von 8           HINTERGRUND
        bis 14 Uhr, um ihre Arbeit mit ihren vier Kindern verein-
        baren zu können.                                               Für die dreijährige duale Ausbildung zum
                                                                        Bäcker/zur Bäckerin benötigt man mindes
        Herausfordernd sei vor allem die Ofenarbeit, insbeson-          tens einen Hauptschulabschluss oder
        dere im Sommer, weil man dann einer massiven Hitze              Realschulabschluss.
        ausgesetzt sei. Und auch die körperliche Anstrengung
        hatte sie so nicht erwartet: Denn wenn sich im Kessel          Hygiene und Arbeitsschutz werden in der
        120 Kilogramm Teig befinden, müssen diese per Hand              Backstube großgeschrieben. Bäcker müssen
        auf den Tisch geholt werden. „Wenn man das viermal              sich daher auch aufs regelmäßige Sauber-
        am Tag gemacht hat, dann braucht man kein Training                 machen einstellen.
        mehr“, sagt sie lachend. Und natürlich kann auch in ei-
        nem  Profi-Betrieb,  in  dem vieles  auf  Zuruf  und  unter     Im ersten Ausbildungsjahr erhält man laut
        Zeitdruck  passiert,  etwas  schiefgehen.  „Aber  auch,         azubi.de 930 Euro brutto im Monat, im
        wenn bei uns auf größte Sorgfalt und Qualität geachtet          zweiten 1.015 Euro und im dritten 1.155 Euro
        wird, bekommt man nicht den Kopf abgerissen, wenn               Gehalt im Monat. Das  Einstiegsgehalt nach
        man mal die Hefe vergessen hat.“  Langweilig ist ihr ihre       der abgeschlossenen  Ausbildung liegt dem
        Tätigkeit noch nie geworden – auch dann nicht, wenn             Portal zufolge bei rund 2.500 Euro.    ks
        sie zehn Mal am Tag ein Ciabata oder Baguette backt.

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