Page 9 - AK-Konkret 3|2025 | AK-SPEZIAL „LEBEN + FREIZEIT“
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Titelthema
        Wir brauchen eine solidarische


        Bürgerversicherung für alle



        PFLEGEVERSICHERUNG  Strukturelle Reformen sind unerlässlich

        Die Beiträge zur gesetzlichen
        Pflegeversicherung steigen
        stetig an. Die Gründe dafür sind
        vielfältig. Um eine langfristige
        Stabilisierung der Pflegeversi-
        cherung zu erreichen, braucht
        es unter anderem einen
        stufenweisen Umbau zu einer
        solidarischen Bürgerversiche-
        rung, die die gesamte Bevölke-
        rung und alle Arten von
        Einkommen umfasst.             Foto: Adobe Stock/Andrey Popov
        Von Frank Bandau

        Die  gesetzliche  Pflegeversiche-
        rung steht  vor einem doppelten   Das bestehende System der Pflegeversicherung in Deutschland ist
        Finanzierungsproblem. Zum einen   sozial ungerecht. Besserverdienende profitieren unter anderem von
        steigen die Eigenanteile rapide an,   Entlastungen durch die Beitragsbemessungsgrenze.
        die Pflegebedürftige für die Heim-
        pflege  aufbringen  müssen.  Im   winne  mit  den  „guten  Risiken“,   samt belaufen sich die  versiche-
        Saarland lag der gesamte Eigen-  während  die  soziale  Pflegeversi-  rungsfremden Leistungen laut Be-
        anteil  für  die  Heimpflege  (ohne   cherung die hohen Kosten der   rechnungen des Sozialverbandes
        Zuschüsse)  im  Januar  2025  bei   „schlechten  Risiken“  schultern   VdK auf jährlich 9,2 Milliarden Euro
        3.671 Euro pro Monat - nur in Bre-  muss.                  (etwa 15 Prozent der Gesamtaus-
        men muss noch mehr bezahlt     Die Ankündigung einer „großen   gaben)  –  eine  enorme  finanzielle
        werden   (Bundesschnitt:   3.248   Pflegereform“ im Koalitionsvertrag   Belastung  für  die  Pflegekassen.
                                                                   Die Koalitionsverhandlungen er-
        Euro,  siehe  Grafik  Seite  13)*.  Zum   ließe  vermuten,  dass  CDU/CSU   weisen sich damit leider als eine  !
        anderen leidet die Pflegeversiche-  und SPD die Dringlichkeit der Lage
        rung unter einer strukturellen Ein-  erkannt haben. Doch obwohl erst   vertane Chance bei der kurzfristi-  *Die tatsäch-
        nahmeschwäche,  weil bisher nur   im August letzten Jahres von der   gen Stabilisierung der gesetzli-  liche Eigenbe-
        Arbeitseinkommen bis zur Bei-  alten Bundesregierung eine aus-  chen Pflegeversicherung.    teiligung hängt
        tragsbemessungsgrenze   von  führliche  Bestandsaufnahme  zur   Für  eine  langfristige  Stabilisie-  von der
        5.512,50 Euro monatlich zur Finan-  Pflegeversicherung   inklusive   rung sind strukturelle Reformen   Aufenthalts-
        zierung  herangezogen werden   möglicher Reformoptionen vorge-  unerlässlich.  Im  ersten  Schritt   dauer im
        und  viele Besserverdienende in   legt wurde, sieht der Koalitionsver-  muss  ein  Finanzausgleich  zwi-  Pflegeheim ab:
        die  private  Pflegeversicherung   trag  statt  konkreter  Maßnahmen   schen gesetzlicher und privater   Im ersten Jahr
        (PKV) wechseln. Das Ergebnis sind   die Einsetzung einer weiteren Pfle-  Pflegeversicherung   geschaffen   gewährt die
        stetig  steigende  Pflegebeiträge,   gekommission vor.     werden. Im zweiten Schritt ist der   Pflegeversi-
        zuletzt auf 4,2 Prozent für Kinder-                        stufenweise Umbau zu einer soli-  cherung einen
        lose  und  3,35  Prozent  für  Versi-  Koalitionsverhandlungen   darischen   Bürgerversicherung   Zuschuss von
        cherte mit zwei Kindern.         sind vertane Chance       notwendig, die die gesamte Be-  15 %. Im
          Das bestehende System ist zu-                            völkerung und alle Einkommens-  Saarland
        dem sozial ungerecht. Die Bei-  Die  im  Rahmen der  Koalitions-  arten umfasst. Die  Verbreiterung   entspricht das
        tragsbemessungsgrenze bedeu-  verhandlungen diskutierte Entlas-  der  Finanzierungsbasis  kann  ge-  aktuell 291
        tet eine sozialpolitisch nicht zu   tung  der  gesetzlichen  Pflegever-  nutzt werden, um die Pflegeversi-  Euro, die
        rechtfertigende Entlastung der   sicherung durch stärkere Bundes-  cherung langfristig ohne massive   Eigenbeteili-
        Besserverdienenden auf Kosten   zuschüsse  bleibt  damit  vorerst   Beitragssteigerungen stabil zu   gung liegt
        der anderen Beschäftigten. Außer-  aus. Diese Entlastung  wäre nicht   halten und gleichzeitig die Eigen-  demnach bei
        dem sind die Lasten zwischen ge-  nur notwendig, sondern auch ge-  anteile für Pflegebedürftige zu be-  3.380 Euro im
        setzlicher  und  privater  Pflegever-  boten, da aus der Pflegeversiche-  grenzen. Dadurch könnte eine ge-  Monat. Nach 12
        sicherung sehr ungleich  verteilt,   rung inzwischen viele gesamtge-  rechtere Verteilung der Lasten er-  Monaten steigt
        weil  die  Privatversicherten  –  auf-  sellschaftliche Aufgaben finanziert   reicht und die Qualität der pflege-  der Zuschuss
        grund des Selektionsprozesses   werden. Ein Beispiel bildet die   rischen Versorgung  nachhaltig   auf 30 %, nach
        beim Zugang zur PKV – im Schnitt   Übernahme der Rentenversiche-  gesichert werden.      24 Monaten auf
        gesünder  sind  als  die  gesetzlich   rungsbeiträge  für  pflegende  An-                50 % und nach
        Versicherten.  Die Versicherungs-  gehörige, die sich jährlich auf 3,7   Dr. Frank Bandau ist    36 Monaten
        unternehmen machen daher Ge-  Milliarden Euro summieren. Insge-  Referent für Sozialpolitik.  auf 75 %.

                                                                                         AK-Konkret 3|25 ·  9
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