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Titelthema
„Nur“ die eigene Lebensweise
zu ändern reicht nicht aus
KONSUMKRITIK Wir sollten auch für eine andere Produktionsweise streiten
Bei der Frage, wie wir leben, aus Portugal leisten können, bei sumkritisches Verhalten verdeckt
arbeiten und produzieren Flügen nicht an Atmosfair spen- hier leider oftmals den notwendi-
möchten, wird häufig auf den den, keine Photovoltaik aufs Ei- gen Blick auf die tiefer liegende
ökologischen Fußabdruck genheim schrauben, werden von gesellschaftliche Gesamtproble-
verwiesen, der durch bewusstes der vermeintlichen Weltenrettung matik. Individuell lassen sich die
Konsumverhalten verkleinert ausgeschlossen. (Wobei der öko- gesellschaftlichen Herausforde-
werden soll. Dadurch werden die logische Fußabdruck von Men- rungen kaum lösen. Die Wirkung
Probleme von Klima- und schen mit geringerem Einkom- bleibt beschränkt, wenn nicht
Umweltzerstörung als Folge men meist kleiner ist – es gilt im auch bereits aktiv beim Produkti-
einzelner Handlungen dargestellt Allgemeinen: Je höher das Ein- onsprozess darüber mitentschie-
und auf die individuelle Ebene kommen, desto größer die Woh- den werden kann, was, wie viel
geschoben. Dort scheint es auch nung, desto voller der Warenkorb und mit welchem Ziel produziert
relativ leicht, aktiv zu werden. und so fort.) wird. Um diesen Einfluss zu erlan-
Aber ginge das Argument gen, wäre unter anderem ein Zu-
Von Jonas Boos „wenn alle nachhaltig handeln gang zu den Produktionsmitteln
! Den Urlaub verbringe ich nicht auf würden, würde es funktionieren“ nötig. In einer kapitalistisch orga-
denn überhaupt auf? Welche Wir-
nisierten Gesellschaft befinden
nahen Frankreich, den Lebens-
besitz. Um daran etwas zu än-
Zum Thema Ibiza, sondern beim Camping im kung hat es, die Plastiktüte beim sich diese überwiegend in Privat-
Kleiderkauf wegzulassen, wenn
Fairer Handel mittelkauf mache ich per Lasten- die Kleidung unter katastrophalen dern, wäre es notwendig, sich zu
informiert eine rad im Unverpacktladen, meine organisieren und gemeinsam für
Broschüre der Jeans ist handgenäht aus deut- Klimabewegung und eine andere Produktionsweise zu
Aktion 3. Welt scher Produktion. Dass dies die Arbeitskämpfe unterstützen streiten, statt auf individueller
Saar: Lösung für eine nachhaltige Welt Ebene zu agieren.
a3wsaar/ sein könnte, hört man immer wie- Bedingungen für Natur und Das soll nun aber nicht als Aufruf
weltladen- der. Klingt ja auch zunächst plau- Mensch produziert wird? Welche verstanden werden, gedankenlos
und fairer- sibel: Wenn bio, fairtrade und re- Wirkung hat der Verzicht auf drauflos zu konsumieren. Natür-
handel/ gional eingekauft wird, gibt es Fernreisen, wenn ein Großteil der lich kann es helfen, die eigene Le-
artikel/ mehr davon; wenn weniger Flug- innerdeutschen Flüge Geschäfts- bensweise zu ändern und ein Be-
broschuere- reisen oder Kreuzfahrten unter- reisen sind? Alles zu vermeiden, wusstsein für sich und andere zu
fairer-handel- nommen werden, gibt es weniger was notwendig wäre, ist schlicht schaffen. Allerdings sollte dies
ist-eine-bes- davon – vorausgesetzt, alle ma- nicht möglich. Daher müsste die nicht lediglich zur Beruhigung des
sere-welt- chen mit. zentrale Frage eigentlich lauten: eigenen Gewissens führen oder
kaeuflich Doch: Nachhaltigen Konsum Woran liegt es überhaupt, dass so dazu, sich nicht mit den größeren
muss man sich leisten können! wenig nachhaltig produziert wird? Zusammenhängen kritisch ausei-
Hier findet häufig eine Abgren- Die Antwort auf diese Frage liegt nanderzusetzen. Diese Gefahr be-
zung und Abwertung statt: Men- – wie so oft – in der komplexen steht insbesondere auch, da ein
schen, die sich kein teures Hyb- Art, wie die kapitalistische Pro- vermeintlich nachhaltiger Konsum
rid-Auto, keine veganen Schuhe duktionsweise funktioniert. Kon- sehr rechercheintensiv ist – Zeit
und Energie, die für Systemkritik,
Engagement und Organisation
fehlen. Ohnehin gilt: Für kritisches
Konsumverhalten muss sich nie-
mand in Gewerkschaften oder
Parteien organisieren. Es ist eine
im Grunde rein private Veranstal-
tung. Wer Umwelt und Mensch
schützen möchte, muss aber poli-
tisch handeln: der Privatisierung
mabewegung und Arbeitskämpfe
Wer die des Protests entgegenwirken, Kli-
unterstützen und für gesamtge-
Umwelt Foto: Adobe Stock/Animaflora Pics Stock sellschaftliche Verbesserungen
schützen streiten. Der Ort der Auseinander-
möchte, sollte setzung dafür ist die Öffentlichkeit.
sich auch
politisch Jonas Boos ist Referent für
engagieren. Konjunktur- und Strukturpolitik.
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