Page 7 - AK-Konkret: 2 | 2023 | Spezial "Für junge Leute"
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dings bestehen weiterhin eine all-
        gemeine Politikverdrossenheit und
        geringes Vertrauen in Parteien. Po-
        pulistische Aussagen  wie  „Ich
        glaube nicht, dass Politiker sich um
        Leute wie mich kümmern“ haben
        zugenommen. Diese Entwicklun-
        gen stellen Handlungsaufforderun-
        gen an eine jugendgerechte Politik   Foto: Adobe Stock/Monkey Business
        dar. Denn nur,  wenn die jungen
        Menschen sich in Entscheidungs-
        prozesse einbringen können und
        sich gehört fühlen, kann ihre Moti-
        vation zur gesellschaftlichen Mit-
        gestaltung und zum Engagement
        gestärkt werden.             schlechtert. Diesen jungen Men-  den höchsten  Anteil an Schulab-  Jugendliche
          Die Diskrepanz zwischen dem   schen droht die soziale  Abkopp-  gängern mit Hauptschulabschluss   wollen gehört
        Wunsch nach mehr Partizipation   lung, wenn sie auch im Übergangs-  auf (Bund: 15,8 Prozent). Aber nicht   werden und
        und der zunehmend geäußerten   system  durch  das  löchrige  Netz   erst seit dem Einbruch des Ausbil-  mitbestim-
        Erfahrung, sich  von der Politik zu   fallen.              dungsmarktes  in  den  ersten bei-  men. Zudem
        wenig gehört zu fühlen, wurde ge-  Unter dem Eindruck von Klima-  den Pandemiejahren, sondern seit   legen sie
        rade  während der Corona-Krise   krise,  Krieg  und  Inflation  hat  sich   Jahren haben  Jugendliche mit   oftmals einen
        deutlich.  Hat  doch  die  fast  drei   das zuvor in mehreren Studien ge-  Hauptschulabschluss Schwierig-  großen Wert
        Jahre andauernde Pandemie ins-  zeichnete Bild einer Mehrheit der   keiten, den Berufseinstieg zu meis-  auf eine
        besondere das Leben junger Men-  Jugendlichen, die trotz verschiede-  tern. Viele Ausbildungsplätze blei-  nachhaltige
        schen stark beeinträchtigt und   ner Ängste und Sorgen positive Zu-  ben  ihnen von vornherein ver-  Gestaltung
        viele leiden noch heute unter den   kunftsaussichten hegt, eingetrübt,   schlossen, obwohl der Hauptschul-  von Gesell-
        Folgen. Laut Abschlussbericht der   vor allem bei jungen Menschen mit   abschluss  formal  kein  schaft und
        interministeriellen Arbeitsgruppe   weniger Ressourcen und niedriger   Ausschlusskriterium ist. Es passt   Umwelt.
        vom  Februar  2023  sind  immer   Qualifikation. Bei einer repräsentati-  nicht zusammen, dass Unterneh-
        noch 73 Prozent der Kinder und Ju-  ven Befragung im Rahmen der Stu-  men über Fachkräftemangel kla-
        gendlichen psychisch belastet. Wie   die „Ausbildungsperspektiven im   gen und gleichzeitig als „Gatekee-
        so oft trifft es Kinder aus ärmeren   dritten  Corona-Jahr“  (2022)  der   per“ der Berufseinmündung  viele
                                     Bertelsmann Stiftung gab eine   nicht in Betracht ziehen, dass auch
           Armut grenzt aus und      Mehrheit der  Jugendlichen im   junge Menschen mit Hauptschul-
           benachteiligt massiv      Saarland an, eher skeptisch bis   abschluss die Fachkräfte von mor-
                                     pessimistisch in die Zukunft zu bli-  gen sein können, wenn sie entspre-
        Familien und in prekären Lebens-  cken. Besonders ausgeprägt ist   chend gefördert werden.
        lagen besonders hart.  Wenn  wir   dies bei Jugendlichen mit maximal
        von „den“ jungen Menschen spre-  Hauptschulabschluss. Bundesweit   Matthias Kremp leitet das Referat
        chen, gehört dazu auch die für un-  weist das Saarland mit 27,9 Prozent   Bildungs- und Kulturpolitik.
        sere Gesellschaft beschämende
        Tatsache, dass im Saarland über 22
        Prozent der Kinder und  Jugendli-
        chen  armutsgefährdet  sind  –  mit
        allen Einschränkungen für ihre Ent-   AK-STANDPUNKTE ZUM TITELTHEMA
        wicklung,  Bildung  und  Teilhabe.
        Und trotz des Kita-Ausbaus fehlen     Politik muss stärkeren Fokus auf junge Menschen legen
        nicht nur in erheblichem Umfang
        Plätze, sondern die Bildungsteil-      Eigenständige Kinder- und Jugendpolitik im Saarland: Belange und
        habe verläuft bereits vor der Schule      Interessen junger Menschen in allen Politikfeldern und Ressorts
        zu Ungunsten von Kindern aus so-         berücksichtigen und mehr repräsentative sowie offene und anlass-
        zial benachteiligten Familien und        bezogene Beteiligung schaffen.
        mit Migrationshintergrund, wie eine
        aktuelle Studie des Bundesinstituts     Infrastruktur statt Projektitis: Ausbau und fachliche Weiterentwick-
        für Bevölkerungsforschung bestä-         lung einer starken sozialen Infrastruktur der Bildung und Teilhabe
        tigt. Dies setzt sich in der Schule      für junge Menschen und ihre Familien.
        fort. Die Zahl der Jugendlichen, die
        die  Schulpflichtzeit  ohne  Haupt-     Kindergrundsicherung: Einführung einer armutsfesten Kindergrund-
        schulabschluss hinter sich lassen,       sicherung, um jedem Kind unabhängig der sozialen Herkunft von
        liegt  im  Saarland  mit  6,6  Prozent      Anbeginn soziale Teilhabe zu ermöglichen.
        (bei  denjenigen  ohne  deutsche        Ausbildungsgarantie: Einführung einer umlagefinanzierten Ausbil-
        Staatsangehörigkeit sogar bei 18,2
        Prozent)  über  dem  Bundesdurch-        dungsgarantie, um jedem jungen Menschen die Chance auf eine
        schnitt von 6,2 Prozent und hat sich      vollqualifizierende Ausbildung zu geben.
        im Zehnjahreszeitraum sogar  ver-

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