Page 6 - AK-Konkret: 1 | 2024 | AK-SPEZIAL „Aktiv im Betrieb“
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Titelthema
Mehr Arbeitszeitsouveränität im
individuellen Lebenslauf nötig
ARBEITSZEITVERKÜRZUNG Zeiten an die Bedürfnisse anpassen –
Wahlarbeitszeiten sind ein guter Zwischenschritt auf dem Weg zur 4-Tage-Woche
Die Debatte um die Länge der Arbeitszeiten und um die 4-Tage-Woche lichst zu verkürzen, wird verstärkt
hat aktuell an Fahrt aufgenommen. Dafür gibt es seitens der Beschäftig- seit der Corona-Krise geäußert.
ten unterschiedliche Motivationen. Unter dem Aspekt der Gleichstel- Aktuelle Studien belegen, dass vor
lung im Arbeitsleben passt das Normalarbeitsverhältnis in Vollzeit nur allem jüngere Beschäftigte keine
schlecht zu einem Alltag, in dem sich beide Geschlechter die Sorge- einheitlichen betrieblichen Ar-
arbeit teilen wollen. Vielmehr arbeiten vor allem Frauen sehr häufig beitszeiten wollen, die den Alltag
Teilzeit und Vollzeitbeschäftigte sogar oftmals länger als erwünscht – starr strukturieren. Im mittleren Al-
mit all den Nachteilen, die damit verbunden sind. Auf dem Weg zu einer ter spielt eher die Vereinbarkeit
weiteren generellen Arbeitszeitverkürzung für alle können Wahl- bezie- von Beruf und Familie eine Rolle.
hungsweise Familienarbeitszeiten ein guter Zwischenschritt sein. Vor allem dann, wenn Frauen und
Männer gleichermaßen am Er-
Von Gertrud Schmidt zung der Arbeitszeit auf 32 Stun- werbsleben teilnehmen wollen,
den bei vollem Lohnausgleich in führt dies bei Vollzeit von beiden
Arbeitszeiten, ihre Lage und Ver- der öffentlichen Debatte sehr auf Dauer zu kaum zu stemmen-
teilung sind das zentrale Thema, sichtbar. Parallel dazu gibt es ins- den Mehrfachbelastungen. Wenn
wenn es um das Verhältnis der gesamt lebhafte Diskussionen um man im Sinne der Gleichstellung
verschiedenen Lebensbereiche die Erwerbs- und Sorgearbeit
von Männern und Frauen geht. Individuell verschiedene gleichwertig gestalten will, zeigt
Jahrzehntelang war die gesell- Arbeitszeitwünsche sich, dass ein durchgehendes Ar-
schaftliche und gewerkschaftliche beitsverhältnis in Vollzeit für beide
Debatte bestimmt von den Bemü- die 4-Tage-Woche. Dabei wird in nicht (mehr) passt.
hungen, Arbeitszeit kollektiv zu re- der Öffentlichkeit nicht immer In bundesweiten Befragungen
duzieren und in geregelte Bahnen trennscharf unterschieden zwi- findet man zum Beispiel aktuell bei
zu bringen. Nach dem Erreichen schen vier Tagen mit der ursprüng- der Hans-Böckler-Stiftung, dass
der 35-Stunden-Woche in den Ta- lichen Arbeitszeit – was eine rund 80 Prozent aller Befragten
rifverträgen der IG Metall war es enorme Verdichtung bedeuten ihre Arbeitszeit gerne verkürzen
eine Zeit lang eher still um das würde – und einer generellen Ver- würden – vorausgesetzt, der Lohn
Thema. Dies änderte sich in jüngs- kürzung um den fünften Tag – mit bliebe gleich. Ohne Lohnausgleich
ter Vergangenheit, als verschie- oder ohne Lohnausgleich. Diese sind es von diesen nur noch acht
dene Gewerkschaften auf Wunsch Tatsache macht die Debatte teil- Prozent. In der AK-Beschäftigten-
Aktuell gibt der Beschäftigten in ihren Tarifver- weise unübersichtlich, vor allem befragung aus 2023 zeigt sich vor
es lebhafte trägen optional weniger Arbeits- wenn sie verkürzt unter dem Eti- allem, dass viele Beschäftigte ge-
Diskussionen zeit möglich machten. Aktuell ist kett „4-Tage-Woche“ geführt wird. nerell derzeit mehr arbeiten als
um die vor allem die IG Metall in ihrer Tarif- Der generelle Wunsch, Arbeits- vertraglich vereinbart, der Wunsch
4-Tage- runde mit der Forderung nach ei- zeiten besser an die eigenen Be- nach kürzeren Arbeitszeiten ist
Woche. ner weiteren kollektiven Verkür- dürfnisse anzupassen und mög- ebenfalls erkennbar. Gleichzeitig
zeigen Studien aber auch, dass
insbesondere Frauen, die in (kur-
zer) Teilzeit arbeiten, sehr häufig
ihre Arbeitszeit gerne erhöhen
würden. Theoretisch ideal wäre es
demnach, eine generelle Arbeits-
zeit für alle bei zirka 30 bis 32
Stunden anzustreben. Inwieweit
jedoch der volle Lohnausgleich im
Zusammenhang mit dem Fach-
kräftemangel in vielen Branchen
Foto: Adobe Stcok/magele-picture darüber wird intensiv diskutiert
kurzfristig wirtschaftlich machbar
und dann auch durchsetzbar ist,
(siehe auch den Text auf Seite 8/9).
Nach dem bisher existierenden
Modell der sozialen Sicherung be-
deutet höhere Arbeitszeit jedoch
mehr Lohn, eine bessere Absiche-
6 · AK-Konkret 1|24 rung bei Arbeitslosigkeit oder Kin-