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derbetreuungszeiten (Lohnersatz-
        leistungen), einen höheren Status,
        bessere Aufstiegsmöglichkeiten
        und  letztlich  eine  höhere  Rente.
        Folglich muss bei einer kollektiven
        Verkürzung das gesamte System
        der sozialen Sicherung angepasst
        werden, damit es nicht zu Nachtei-
        len  kommt  –  ein  Ziel,  das  wün-
        schenswert, aber nicht von heute
        auf morgen zu erreichen ist. Wenn
        kürzere Arbeitszeiten das gleiche
        Absicherungsniveau wie  längere
        bieten sollen, sind Verteilungskon-
        flikte durch höhere, einkommens-  Foto: Adobe Stock/Jacob Lund
        abhängige Sozialbeiträge bezie-
        hungsweise mehr Steuermittel
        vorprogrammiert. Auch wären ide-
        alerweise grundlegende Refor-
        men gleichzeitig umzusetzen, wie
        die Einführung einer Erwerbstäti-  gleich  vor.  Den  Grundgedanken   dells  gehen  davon  aus,  dass  auf   Das Modell
        gen- oder Bürgerversicherung für   fasst das Institut der Deutschen   dieser Grundlage eine neue Norm   der
        alle Beschäftigten- und Einkom-  Wirtschaft  (DIW) unter dem  Titel   mitbegründet würde, die es auch   „atmenden
        mensgruppen.  Eine  gerade  aus   „Mehr Arbeitszeit für Mütter – mehr   für  Männer  leichter als  bisher   Lebensläufe“
        Gleichstellungssicht kurzfristig na-  Familienzeit für Väter“ sehr treffend   macht,  Sorgearbeit  zu  überneh-  soll
        heliegende Variante zur Verbesse-  zusammen.               men und dies als akzeptiert wahr-  Beschäftigten
        rung der Situation wäre daher die   Tatsächlich ist es mittlerweile in   zunehmen.  Damit  würden  Er-  je nach
        großflächige  Ermöglichung  von   der betrieblichen Wirklichkeit häu-  werbsunterbrechungen  bezie-  Lebens-
        Wahlarbeitszeiten je nach Lebens-  fig  bereits  möglich,  phasenweise   hungsweise Arbeitszeitverkürzun-  phase
        phase.  Diese  in  Kombination  mit   die  Arbeitszeiten an die Bedürf-  gen bei Männern mehr und mehr   individuell
        einer  größtmöglichen Arbeitszeit-  nisse anzupassen – auch gibt es   zu  einer  neuen  Normalität  und   gewählte
        souveränität für die Beschäftigten   das Rückkehrrecht auf Vollzeit. Der   würden nicht länger mit dem An-  Arbeitszeit für
                                     entscheidende und neue Punkt   sehen von Abweichlern belegt. Die   eine
           Wahlarbeitszeiten je      bei den genannten Modellen aber   Familienarbeitszeit (auch als „Opti-  bestimmte
            nach Lebensphase         wäre die Tatsache, dass Beschäf-  onszeitenmodell“  denkbar)  wäre   Dauer er-
                                     tigte in reduzierten Zeiten zusätz-  damit ein ein Schritt hin zum Ab-  möglichen
        wäre  eine  Variante,  die  verschie-  lich Entgelt oder Entgeltersatz er-  schied von der Norm der männli-  und könnte
        denen Lebensbereiche kurzfristig   hielten.  Damit  hätten  diese  ver-  chen  (Vollzeit-)  „Normalbiografie“,   auch dazu
        deutlich besser miteinander  ver-  kürzten Arbeitszeiten  einen  viel   die trotz aller Bemühungen immer   beitragen,
        einbar  zu  machen.  Gleichzeitig   stärker absichernden Charakter als   noch weit verbreitet ist.   dass Männer,
        kann es mittel- bis langfristig Ziel   die bisher möglichen  Arbeitszeit-                mehr
        bleiben, das komplette Sozialver-  verkürzungen, die auf eigene Kos-  Gertrud Schmidt leitet das Referat   Sorgearbeit
        sicherungssystem  an  ein  neues,   ten gehen. Die Autorinnen des Mo-  Frauen- und Gleichstellungspolitik.  übernehmen.
        kürzeres  Normalarbeitsverhältnis
        anzupassen.
          Das Konzept sieht vor, Erwerbs-
        tätigen je nach Lebensphase und
        Bedürfnissen ihre individuell ge-     AK-STANDPUNKTE ZUM TITELTHEMA
        wählte (kürzere)  Arbeitszeit für
        eine bestimmte Dauer zu ermögli-      Eine Verkürzung der Arbeitszeit ist dringend geboten
        chen.  Schon  seit  dem  Zweiten
        Gleichstellungsbericht der Bun-        Eine Veränderung der Arbeitszeit ist auf dem Weg zu mehr
        desregierung 2017 gibt es hierfür        Gleichstellung zwischen Mann und Frau unumgänglich.
        den  Begriff  der  „atmenden  Le-
        bensläufe“. Diese erlauben es Be-       Ein erster Schritt können dabei Wahlarbeitszeiten sein, bei denen
        schäftigten, ihre Arbeitszeiten über      Erwerbstätige ihre Arbeitszeit je nach Lebensphase flexibel
        die Zeit hinweg selbstverantwort-        bestimmen können. Dadurch wird eine gleichwertige Gestaltung
        lich zu gestalten – je nach Erfor-       von Erwerbs- und Sorgearbeit möglich.
        dernissen der persönlichen  Aus-
        gangssituation.  Politisch  wurde       Längerfristig ist eine offene Diskussion über eine kollektive
        das Modell  wiederholt als soge-         Arbeitszeitverkürzung, die über individuelle Lösungen hinausgeht,
        nannte Familienarbeitszeit in die        notwendig.
        Debatte eingebracht und sieht           Eine kurze Vollzeit trägt zur Beschäftigungssicherheit, Geschlecht-
        eine 32–Stunden Woche für Eltern         ergerechtigkeit und Demokratiestärkung bei. Zudem hätte die kol-
        beziehungsweise  pflegende  An-
        gehörige mit partiellem Lohnaus-         lektive Arbeitszeitverkürzung positive Auswirkungen auf das Klima.

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