AK-Betriebsbarometer 2022: Arbeitnehmervertretungen fordern mehr Mitbestimmungsrechte – Gesundheits- und Sozialwesen besonders prekär

Pressedienst vom

„Die Interessenvertretungen haben gerade in der Corona Pandemie ihre Leistungsfähigkeit als betriebliche Problemlöser unter Beweis gestellt. Ohne das massive Engagement der Arbeitnehmervertretungen wäre die Corona-Krise auf betrieblicher Ebene nicht zu stemmen gewesen“, sagt Jörg Caspar, Vorstandsvorsitzender der Arbeitskammer des Saarlandes, bei der Vorstellung der Ergebnisse des AK-Betriebsbarometers 2022 am Freitag in Saarbrücken. Beim AK-Betriebsbarometer befragt die Arbeitskammer gemeinsam mit der Technologieberatungsstelle BEST alle zwei Jahre saarländischen Arbeitnehmervertretungen zu Arbeitsbedingungen in Betrieben und Dienststellen und zur Mitbestimmung*. Klar ist: „Die Arbeitnehmervertretungen nehmen ihren Mitbestimmungsauftrag ernst. Aber sie brauchen mehr und besseres Werkzeug, um ihre Arbeit gut machen zu können. Die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte müssen deshalb auch auf soziale, personelle und wirtschaftliche Angelegenheiten ausgeweitet werden“, fordert Caspar.

Ein weiteres Ergebnis des AK-Betriebsbarometers: „Gerade das Gesundheits- und Sozialwesen ist stärker als die anderen Branchen von Personalmangel und Arbeitsverdichtung betroffen, und die Interessenvertretungen in diesem Bereich – und nur sie – arbeiten dort, wo die Pandemie am deutlichsten zu Tage tritt. Es ist höchste Zeit, wenigstens die Personalsituation in diesem Arbeitsbereich massiv zu verbessern, der so belastend und nach wie vor systemrelevant ist“, sagt Thomas Otto, Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer.

Bei der Befragung wurde auch deutlich: Die betrieblichen Bedingungen und Herausforderungen in dem durch Corona geprägten Jahr sind problematisch. So schätzen die Arbeitnehmervertretungen etwa die Möglichkeiten des Arbeitsgebers, Fachkräfte zu gewinnen, in drei Viertel der Betriebe als schlecht oder eher schlecht ein. Entsprechend beurteilen sie die Arbeitsintensivierung in rund 78 Prozent aller befragten Betriebe als hoch oder eher hoch – am stärksten betroffen ist das Gesundheits- und Sozialwesen. Rund 70 Prozent aller befragten Gremien halten die Belastung durch die Corona-Pandemie für hoch oder eher hoch – besonders stark im Gesundheits- und Sozialwesen. Und: Sowohl das Betriebsklima als auch die Personalausstattung und die Führungskompetenz der Vorgesetzten schätzen die Vertretungen in jeweils über der Hälfte der Betriebe als schlecht oder eher schlecht ein. Besonders betroffen ist auch hier der Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens.

Positiv ist bei den Ergebnissen immerhin, dass die Zusammenarbeit der Gremien mit den Arbeitgebern bzw. Dienstherren aufs Ganze gesehen nicht schlecht beurteilt wird. Betriebs- und Dienstvereinbarungen werden meist eingehalten und umgesetzt. In den letzten Jahren hat sich hier einiges verbessert.

„Luft nach oben gibt es dennoch genug. Unter anderem sagen uns drei Viertel der Befragten, dass die rechtzeitige und umfassende Information durch den Arbeitgeber bei Mitbestimmungstatbeständen besser laufen könnte. Bei der Einbindung der Gremien in strategische Fragen sehen sogar noch 82 Prozent Verbesserungsbedarf. Und 62 Prozent der Befragten halten mehr gesetzliche Rechte bei der wirtschaftlichen Mitbestimmung für notwendig“, so Caspar.
Die Arbeitskammer plädiert seit langem für eine Stärkung und Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung. In der Corona-Pandemie stellten die Arbeitnehmervertretungen in Fragen von Arbeitszeit und Arbeitsorganisation hohe Kompetenz unter Beweis und zeigten sich als verlässliche Partner. „Daher ist die Forderung von 70 Prozent der Befragten, die gesetzlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten zu erweitern, folgerichtig und sollte auch auf die Mitwirkung in personellen Angelegenheiten (Personalplanung, Berufsbildung, Einzelmaßnahmen) ausgedehnt werden, wie es 70 Prozent ebenfalls fordern“, so Caspar.

„In Zeiten der Transformation, der Digitalisierung und des demografischen Wandels (von Klimawandel, Krieg und Energiekrise ganz zu schweigen) darf vom Potential der betrieblichen Mitbestimmung auch nicht das kleinste Stück ungenutzt bleiben. Im Gegenteil: Wir brauchen eine generelle Stärkung und Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung. Denn betriebliche Mitbestimmung bedeutet, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen auf Augenhöhe die Themen im Betrieb behandeln“, fordert Caspar.

Thomas Otto ergänzt: „Insbesondere die Datenauswertung im Branchenvergleich hat uns leider sehr deutlich vor Augen geführt, dass speziell im Gesundheits- und Sozialwesen sowohl hinsichtlich der Arbeits- aber eben auch hinsichtlich der Mitbestimmungsmöglichkeiten vieles im Argen liegt und dringlicher ist als in anderen Branchen. Dass es in beiden Bereichen in anderen Branchen besser läuft, sollte den Verantwortlichen im Gesundheits- und Sozialwesen Mut machen, dass Verbesserungen möglich sind, um im Ergebnis dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenzutreten. Mit dem breiten Beratungsangebot zur Arbeitszeitgestaltung, zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, zur Weiterbildung und zu Digitalisierungsvorhaben stehen wir als Arbeitskammer und als Beratungsstelle für sozialverträgliche Technologiegestaltung (BEST) e.V. gemeinsam mit den Gewerkschaften gerne unterstützend zur Seite.“  

*Hintergrund: Die Befragung (online) fand im Februar und März dieses Jahres statt, das heißt vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs und vor der Entscheidung des Ford-Konzerns, den Standort in Saarlouis aufzugeben. 198 Gremien haben sich beteiligt und decken damit rund 28 Prozent der 386.500 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Saarland ab. Beurteilt wurde das Corona-Jahr 2021 hinsichtlich der Situation und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Betrieben, der Arbeitsschwerpunkte der Interessenvertretungen, deren Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber bzw. Dienstherren und bezüglich der notwendigen Verbesserungen bei der Mitwirkung und Mitbestimmung.

 

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