Strukturelle Mängel gefährden die Absicherung der Pflegebedürftigen

Die soziale Pflegeversicherung (SPV) wurde 1995 als letzte Säule des deutschen Sozialversicherungssystems eingeführt, um die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen von den Kosten der Pflegebedürftigkeit zu entlasten. Eigenanteile in der Heimpflege von mehreren tausend Euro monatlich und eine unzureichende Unterstützung von Pflegepersonen verdeutlichen jedoch, dass die Pflegeversicherung dieses Ziel inzwischen klar verfehlt. Eine wesentliche Ursache ist ihre unzureichende und unsolidarische Finanzierung: Zum einen werden jedes Jahr erhebliche Mittel der Beitragszahler und Beitragszahlerinnen zweckentfremdet und fehlen daher bei der Deckung der Pflegekosten. Zum anderen führt das Nebeneinander von sozialer und privater Pflegeversicherung zu einem unsolidarischen System. Der SPV entgehen die Beiträge der Besserverdienenden, die sich dem Solidarsystem entziehen und mit ihren Einzahlungen stattdessen die Gewinne privater Versicherungsunternehmen befeuern.

Die AK-Forderungen auf einen Blick

Um die Pflegedürftige und ihre Angehörigen finanziell zu entlasten und eine ausreichende und solidarische Finanzierung der Pflege sicherzustellen, richtet die Arbeitskammer folgende Forderungen an die Politik:

  • Deckelung der Eigenanteile in der Heimpflege durch „Sockel-Spitze-Tausch“
  • Bessere Unterstützung von pflegenden Angehörigen
  • Einführung einer solidarischen Pflegebürgerversicherung als Vollversicherung
  • Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze
  • Stabilisierung der SPV durch Entlastung von versicherungsfremden Leistungen

Warum sind diese Forderungen im Sinne der Beschäftigten?

Deckelung der Eigenanteile in der Heimpflege durch „Sockel-Spitze-Tausch“
Gegenwärtig übernimmt die Pflegeversicherung in der stationären Langzeitpflege einen festen Betrag. Alles, was darüber hinausgeht, müssen die Pflegebedürftigen aus eigener Tasche bezahlen – oder notfalls Sozialhilfe beantragen. Im Saarland belaufen sich die Kosten im ersten Jahr im Pflegeheim inzwischen im Durchschnitt auf über 3.500 Euro im Monat (Stand: Juli 2025). Zur Entlastung der Pflegebedürftigen ist es notwendig, das System mittels sogenanntem „Sockel-Spitze-Tausch“ vom Kopf auf die Füße zu stellen: Der Eigenanteil der Pflegebedürftigen wird deutlich unterhalb der derzeitigen Höhe des Eigenanteils gedeckelt, alle weiteren Kosten trägt die Pflegeversicherung. Idealerweise werden so, wie ursprünglich vorgesehen, die pflegebedingten Kosten durch die Pflegeversicherung übernommen, während Pflegebedürftige die Kosten für Unterkunft und Verpflegung tragen. Die Finanzierung ließe sich über moderate Beitragssteigerungen und den Systemwechsel zu einer solidarischen Bürgerversicherung gewährleisten, welche die Finanzierungsbasis deutlich verbreitern würde.

Bessere Unterstützung von pflegenden Angehörigen
Familienangehörige übernehmen einen großen Teil der Pflege für ältere Menschen. Rund 60 % der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zuhause ausschließlich durch ihre Angehörigen versorgt. Viele müssen ihre Berufstätigkeit reduzieren, um Pflege und Beruf zu vereinbaren, oder treten (vorübergehend) vollständig aus dem Beruf aus. Anders als Eltern sind sie in diesen Zeiten der Sorgearbeit finanziell nicht verlässlich abgesichert. Auch ihre Freistellungs- und Rückkehrmöglichkeiten sind derzeit uneinheitlich und unzureichend geregelt. Um pflegende Angehörige besser abzusichern und zu unterstützen, braucht es eine steuerfinanzierte Lohnersatzleistung. So können vorübergehende Verdienstausfälle zumindest in Teilen kompensiert werden.

Einführung einer solidarischen Pflegebürgerversicherung als Vollversicherung
Das bestehende zweigeteilte System aus gesetzlicher und privater Pflegeversicherung ist sozial ungerecht und führt dazu, dass der SPV dringend benötigte finanzielle Mittel vorenthalten werden. Besserverdienende können sich dem Solidarsystem nämlich entziehen, indem sie in die private Pflegeversicherung wechseln. Personen mit geringem Einkommen werden zudem im Durchschnitt früher und häufiger pflegebedürftig als Personen mit hohem Einkommen. Dadurch kommt es zu einer für die SPV und deren Versicherte nachteiligen Risikoselektion: Private Versicherungsunternehmen machen Gewinne mit den „guten Risiken“ der Besserverdienenden, während die soziale Pflegeversicherung die hohen Kosten der „schlechten Risiken“ der übrigen Beschäftigten schultern muss. Eine Bürgerversicherung, die die gesamte Bevölkerung und alle Einkommensarten umfasst, würde diesem ungerechten System ein Ende setzen und die gesetzliche Pflegeversicherung finanziell stabilisieren. In Verbindung mit weiteren Forderungen der AK – Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze und Entlastung der SPV von versicherungsfremden Leistungen – ließe sich die Pflegebürgerversicherung als Vollversicherung gestalten, von der alle pflegebedingten Kosten 

Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze
Auf Arbeitseinkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze müssen in der sozialen Pflegeversicherung bisher keine Beiträge geleistet werden. Das sorgt dafür, dass Besserverdienende auf Kosten von Beschäftigten mit mittleren und niedrigen Einkommen entlastet werden. Die Beitragsbemessungsgrenze entzieht der Pflegeversicherung daher nicht nur wichtige finanzielle Mittel, sondern ist auch zutiefst sozial ungerecht. Ihre deutliche Anhebung oder besser komplette Abschaffung würde dementsprechend – bei gleichzeitiger Anhebung der Versicherungspflichtgrenze – zur finanziellen Stabilisierung der SPV beitragen und das System zudem gerechter machen. 

Stabilisierung der SPV durch Entlastung von versicherungsfremden Leistungen
Die schlechte finanzielle Lage der sozialen Pflegeversicherung ist auch das Ergebnis einer anhaltenden Zweckentfremdung ihrer Mittel durch den Bund: Die Kosten der Corona-Pandemie wurden zum Teil aus Mitteln der Pflegeversicherung bezahlt – bis heute warten die Pflegekassen auf die Erstattung von Geldern in Höhe von über 5 Milliarden Euro. Darüber hinaus übernimmt die SPV die Kosten für Leistungen wie die Rentenversicherungsbeiträge für Pflegepersonen, die eigentlich über einen Bundesmittel abgedeckt werden müssten. Laut Berechnungen belaufen sich diese versicherungsfremden Leistungen auf 9,2 Milliarden Euro pro Jahr (Stand: 2024). Das entspricht etwa 15 Prozent der Gesamtausgaben der sozialen Pflegeversicherung. Eine Übernahme dieser gesamtgesellschaftlichen Kosten durch den Bund würde die Beitragszahler und Beitragszahlerinnen kontinuierlich um fast einen halben Prozentpunkt entlasten.

AK-Position zum Download (PDF barrierefrei)

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