Industrie, Mobilität, Strom- und Wärmeerzeugung – all das muss in etwas mehr als 20 Jahren komplett klimaneutral sein. Die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas werden verschwinden und durch erneuerbare Energien ersetzt. Der Rohstoff der Zukunft wird dann aber nicht nur Wind oder Sonne heißen, auch Wasserstoff wird eine entscheidende Rolle spielen. Das erste Element des Periodensystems kommt insbesondere da zum Einsatz, wo es mit der Klimaneutralität knifflig wird.

Was Wasserstoff leisten kann und was nicht, wo er herkommt und wie er eingesetzt wird – wir geben Antworten.

(Quelle: IG Metall, Datum der Veröffentlichung: 28. Oktober 2021)

Wie kann Wasserstoff Öl oder Gas ersetzen?

Wasserstoff ist ein Energieträger. Diese Energie kann man durch eine Brennstoffzelle „freisetzen“. Das funktioniert so: Wasserstoff H wird mit Sauerstoff O zusammengebracht, die Elemente reagieren miteinander zu Wasser (H2O) – wobei Strom und Wärme entsteht.  Hiermit kann man Züge, Bagger, Flugzeuge und LKW sowie Schiffe antreiben, heizen oder beides für Industrieprozesse einsetzten. Der Clou dabei: Während bei Kohle, Öl oder Gas am Ende der Reaktionsgleichung immer CO2 entsteht, ist es beim Wasserstoff eben nur Wasser. Tauscht man also die fossilen Energieträger gegen Wasserstoff, kann Industrie, Mobilität und Wärme klimaneutral werden.

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Wo macht der Einsatz von Wasserstoff als erstes Sinn?

Die Frage lässt sich mit drei Worten beantworten: In der Stahlindustrie! Aber fangen wir von vorne an: Anwendungsmöglichkeiten für den Wasserstoff gibt es viele – nur der Zukunftsstoff ist momentan noch Mangelware. Während die Nachfrage bereits sehr groß ist, kommt das Angebot erst langsam in Schwung. Das Ergebnis: Der Preis ist hoch. Und das wird auch erstmal so bleiben. Unterm Strich bedeutet das: „Wir müssen als Gesellschaft viel Geld aufwenden“, sagt Matthias Deutsch, Programmleiter Wasserstoff bei der Denkfabrik Agora Energiewende, die die Bundesregierung berät. Er empfiehlt deshalb, dass wir Wasserstoff nur da nutzen, wo es keine anderen Alternativen gibt. Für Deutsch sind das: Stahl, Chemie und einige andere Industriebereiche. Beim Thema Schwerlast ließe sich schon darüber streiten, so Deutsch.

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Wie kann man mit Wasserstoff grünen Stahl erzeugen?

Dass Klimaexperten den knappen Wasserstoff als erstes in die Stahlindustrie leiten wollen, hat einen Grund: „Stahl ist für 30 Prozent der industriellen CO2-Emissionen verantwortlich. Damit sind wir der größte Hebel. Und dieser Hebel kann Richtung Klimaneutralität umgelegt werden“, erklärt Tekin Nasikkol, Betriebsratsvorsitzender Thyssenkrupp Steel. Technologisch ist das möglich. Statt im Hochofen und mit Kokskohle, wird Stahl dann in der Direktreduktionsanlage mit Hilfe von Wasserstoff erzeugt. Doch einen Haken hat die Sache bislang noch: „Wir brauchen jetzt endlich die entsprechenden Rahmenbedingungen von der Politik“, so Metaller Nasikkol.

Mit dieser Forderung steht der Duisburger nicht allein. „Wir können technologisch schnell umbauen, aber dabei müssen der Bund und EU unterstützen“, sagt auch Hasan Cakir, Betriebsratsvorsitzender Salzgitter Flachstahl. Um auf klimaneutral zu stellen, sind es drei Dinge, die die heimische Stahlindustrie von der Politik braucht: Erstens: finanzielle Unterstützung für den Aufbau der neuen Anlagen. Zweitens: finanzielle Unterstützung für die dann steigenden Betriebskosten. Denn mit Wasserstoff klimaneutral Stahl zu produzieren, ist deutlich teurer. Drittens: Infrastruktur, die die Versorgung der Stahlbetriebe mit Wasserstoff gewährleistet. Thyssenkrupp Steel Betriebsrat Nasikkol verdeutlicht, um welche Mengen es dabei geht: „Wir brauchen für unsere Stahlerzeugung zweimal so viel Wasserstoff, wie das Gasometer in Oberhausen fassen kann – und das pro Stunde!“

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Welche Rolle spielt Wasserstoff auf der Straße?

Da Wasserstoff sehr knapp ist und in der EU ab 2035 alle neuzugelassenen Autos klimaneutral sein müssen, ist vorerst wohl nur das batterieelektrische Fahren eine realistische Option für den Individualverkehr. Dennoch gibt es Bereiche, in denen auch bei vier Rädern Wasserstoff sinnvoll sein kann: Hohe Leistung über einen längeren Zeitraum – das ist das, was für seinen Einsatz spricht. Auf den Straßen und in den Städten sind es hier dann vor allem Baufahrzeuge und Arbeitsmaschinen, für die Wasserstoff infrage kommt.

Georg Töpfer, Projektkoordinator Vorentwicklung beim Motorenhersteller Deutz, sieht bei Wasserstoff den Vorteil, dass die Dieselmotoren relativ unkompliziert auf den neuen Kraftstoff angepasst werden können. Kritisch hinterfragt er aber, ob es auch künftig noch Zulieferer gibt, die seinen Betrieb mit den nötigen Teilen versorgen. Töpfer und die Metallerinnen und Metaller bei Deutz gehen auch deshalb ihre Entwicklungsarbeit technologieoffen an: Biodiesel, Multikraftstoffe, Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe. Sie beschäftigen sich mit allen und beraten ihre Kunden, welche Lösung die beste für die jeweiligen Anwendungsgebiete ist.

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Fliegen Flugzeuge künftig mit Wasserstoff?

Beim Fliegen ist das Thema Kraftstoff nicht abschließend geklärt. Gerade wurde im Emsland die weltweit erste Anlage zur Produktion von klimaneutralem Kerosin eröffnet. Als Basis dient dabei Wasserstoff. Andere setzen auf einen direkten Einsatz von Wasserstoff im Flugzeug, was aber ein ganz neues Flugzeugdesign erfordern würde. Klar ist jedenfalls, auch der Flugverkehr muss klimaneutral werden, das ist den Herstellern von Linienmaschinen bewusst. Doch über das Wie wird noch gestritten. Während Airbus sich überzeugt vom Wasserstoff-Fliegen zeigt und hier mächtig vorprescht, gießt Thomas Stocker, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender beim Turbinenhersteller MTU, Wasser in den Wein. „Die Airlines werden erst Wasserstoff-Flugzeuge kaufen, wenn die entsprechende Infrastruktur an allen Flughäfen vorhanden ist.“ Für Stocker ist Wasserstoff nicht der Weisheit letzte Schluss. Studien würden zeigen, dass die Abscheidung von Wasser, das durch die „Verbrennung“ von Wasserstoff entsteht, in der Atmosphäre nicht optimal sei. Für den Ingenieur heißt das, dass es hier noch viel zu forschen und zu tun gibt. Dabei mahnt er mit Blick auf die internationale Konkurrenz zur Eile: „Je später wir mit der Umsetzung beginnen, desto größer die Chance, dass wir hinten runterfallen.“

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Wo fahren Züge mit Wasserstoff?

Auf der Schiene hat sich das elektrische Fahren bereits durchgesetzt. Dieselloks werden so gut wie gar nicht mehr bestellt, bestätigt Norbert Moy, Entwicklungsingenieur und Betriebsrat bei Siemens Mobility. Aber was, wenn die Oberleitung enden muss? Auch dann geht’s elektrisch weiter. Einige Loks haben für diese Fälle eine Batterie dabei. Nur wenn es nicht nur um die letzten Meter, sondern um eine längere Strecke ohne Oberleitung geht, wird Wasserstoff attraktiv. Dann ist die Batterie nicht effizient. In Deutschland sind schon Wasserstoffzüge unterwegs. Die hat Alstom gebaut. Aber auch Moy und die Metallerinnen und Metaller von Siemens Mobility haben jetzt Wasserstoffzüge im Angebot. Besonders in den USA könnten diese einen Absatzmarkt finden, schätzt Moy. Denn dort ist bislang nur ein sehr geringer Teil der Strecken elektrifiziert.

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Wo kommt der Wasserstoff her?

Wasserstoff ist das häufigste chemische Element im Universum. Auf der Erde ist es vor allem in Verbindung mit Sauerstoff „O“ als Wasser (H2O) zu finden. Um reinen Wasserstoff also H beziehungsweise H2 zu bekommen, muss man Wasser unter Einsatz von Energie in H2 und O zerlegen. Das geschieht in einer Elektrolyse. Die notwendigen Elektrolyseanlagen stellen zum Beispiel Siemens oder Thyssenkrupp Industrial Solutions her. Wichtig bei der Elektrolyse ist aber: Die für die Zerlegung notwenige Energie sollte aus erneuerbaren Quellen stammen. Nur dann ist der Einsatz von Wasserstoff auch wirklich klimaneutral.

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Produziert Deutschland genug Wasserstoff?

Nein. Bislang ist Wasserstoff in Deutschland nur in sehr geringen Mengen und zu hohen Preisen zu bekommen. Das liegt daran, dass die Produktion von Wasserstoff sehr energieintensiv ist. Es ist meist deutlich effizienter, den Strom direkt zu nutzen, statt ihn erst in Wasserstoff umzuwandeln und dann wieder aus diesem herauszuholen. Ein Elektroauto verbraucht so pro gefahrenen Kilometer unterm Strich deutlich weniger Strom, als ein Wasserstoffauto. Dennoch gibt es Gebiete, wo es klimaneutral ohne Wasserstoff nicht gehen wird: In der Stahlproduktion kann Wasserstoff als Reduktionsmittel Koks ersetzten und so den Stahl klimaneutral werden lassen und auch beim Fliegen ist die Stromversorgung per Batterie keine echte Alternative. 1,8 Millionen Tonnen Wasserstoff wird die Stahlindustrie jährlich brauchen, um klimaneutral produzieren zu können. Um den für die Wasserstoffproduktion nötige Strommenge zu produzieren, braucht es so circa 12 000 neue Windräder.

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Wird Deutschland Wasserstoff importieren?

Ja. Die Experten von Agora Energiewende gehen von einer Importquote von 80 Prozent aus. Deutschland ist bereits dabei, Partnerschaften mit Ländern auszuhandeln, in denen beispielsweise mehr und verlässlicher die Sonne scheint. Doch auch hierzulande muss es Wasserstoffproduktion geben, darauf pocht die IG Metall und fordert, dass der geplante Aufbau von Elektrolysekapazitäten von 5 GW auf 10 GW bis 2030 raufgesetzt wird. Denn um die Technik ins Laufen zu bringen, braucht es sie zwingend hier vor Ort. Nur so werden neue Produkte rund um die Wasserstofferzeugung und Verwendung hierzulande entstehen und Arbeitsplätze sichern. Jürgen Kerner, Hauptkassierer der IG Metall und für das Thema Wasserstoff zuständig, mahnt: „Die Anwendungen müssen aus dem Laborstatus raus, sonst entstehen die neuen Jobs woanders.“ Jetzt müsse Schluss sein mit „Spielgeld“ und „Bastelstube“ und ernsthaft am Aufbau der Wasserstoffwirtschaft gearbeitet werden, so Kerner.

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Wie soll der Wasserstoff transportiert werden?

Bei kurzen Distanzen können Pipelines die Lösung sein. Die Metallerinnen und Metaller vom Windkraftanlagenbauer Siemens Gamesa wollen beispielsweise Windturbinen in die Nordsee stellen, die direkt mit einer Elektrolyse kombiniert sind. Statt Strom per Kabel, kommt dann direkt Wasserstoff per Pipeline an die Küste und kann dort die Betriebe versorgen. Eine erste Pilotanlage steht schon vor Dänemark. Damit die Metallerinnen und Metaller auch am sogenannten Entenschnabel vor der deutschen Nordseeküste loslegen können, brauche es aber noch die politische Zusage, erklärt Betriebsrätin Maike Rübke. Bei größeren Entfernungen aber wird der Transport von Wasserstoff per Pipeline sehr teuer.

Auch das Frachtschiff kommt hier nicht in Frage. Der Wasserstofftransport wäre hier schon bei kürzeren Distanzen äußerst kostspielig. Eine Lösung kennen Metallerin Maren Jonczyk und ihre Kolleginnen und Kollegen von Thyssenkrupp Industrial Solutions, die Elektrolysen zur Wasserstoffgewinnung bauen: Mit einem Liquid Organic Hydrogen Carrier (LOHC) oder kombiniert mit Stickstoff zu Ammoniak, wird der Wasserstoff verflüssigt und so leichter zu speichern und zu transportieren sein. Unterm Strich sinken dann die Kosten für den Transport per Schiff, aber auch bei langen Pipelinestrecken immens.

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Das fordert die IG Metall von der Politik

Die IG Metall trommelt schon seit geraumer Zeit bei der Politik für die Zukunftschancen, die im Wasserstoff stecken. „Um die Klimaneutralität zu schaffen, braucht es nicht De-Industrialisierung, sondern wir müssen die Zukunftsfelder besetzen“, erklärt Daniela Jansen, die für die IG Metall das Thema bei Politik und Unternehmen auf die Agenda setzt. Damit das gelingt, haben wir acht Forderungen aufgestellt:

  • Elektrolysekapazität auf 10 GW bis 2030 erhöhen.
  • Quoten für den Ausbau von grünem Wasserstoff festlegen und Ausbau heimischer Wasserstoffproduktion unterstützen.
  • Leitmärkte für den Wasserstoffhochlauf fördern.
  • Erneuerbare Energien ausbauen.
  • Infrastrukturausbau von Leitungen und Netzen aufbauen.
  • Aus- und Weiterbildung nicht vergessen.
  • Beschäftigte an Innovationsprozessen beteiligen.
  • Teurere Wasserstoffproduktion durch geeignete politische Instrumente schützen.
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Das fordert die Arbeitskammer von der Politik

Die Transformation kann mit einer dynamischen Wasserstoffstrategie zu einem Beschäftigungsmotor in Saarland und der ganzen Region werden. Bestehende Industriearbeitsplätze und viele daran angebundene Arbeitsplätze in anderen Branchen bekommen eine Zukunft, neue Wertschöpfungsstrukturen mit zukunftsweisender Beschäftigung entstehen. 

Bereits seit über zwei Jahren fordert die Arbeitskammer deshalb von der Landesregierung, das Thema Wasserstoffwirtschaft zum zentralen Handlungsfeld zu machen. Der Einstieg in die wasserstoffbasierte Stahlerzeugung muss unverzüglich erfolgen. Dies ist zwingende Voraussetzung für den Erhalt der saarländischen Stahlindustrie und zugleich der zentrale Türöffner für eine Wasserstoffwirtschaft im Saarland. 

Die Arbeitskammer des Saarlandes erwartet von der Landesregierung, dass Arbeitskammer, Gewerkschaften und Betriebsräte in die weitere Entwicklung der Wasserstoffstrategie durchgängig eingebunden werden. Denn die Beschäftigten sind die Expert*innen für ihre Jobs. Ihrer zentralen Rolle muss konsequent Rechnung getragen werden. 

Die Wasserstoffstrategie muss von Beginn an mit einer Qualifizierungsoffensive verbunden werden, damit genug Zeit bleibt, die Beschäftigten weiterzubilden und zu qualifizieren. Mit der Analyse der technologischen Potentiale von Wasserstofftechnologien muss eine Abschätzung der Auswirkungen auf die Zahl, die Qualität und die Qualifikationsanforderungen von Arbeitsplätzen in einzelnen Branchen einhergehen. Beschäftigte mitzunehmen und mit der Wasserstoffstrategie eine Qualifizierungsoffensive zu verbinden, wird ein echter Standortvorteil für das Saarland sein.

Wasserstoff ist ein europäisches Projekt und kann zu einem gewaltigen Konjunkturimpuls für den gesamten Wirtschaftsraum Europa werden. Dafür muss die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick genommen werden. Das Saarland ist mittendrin und kann hier dank seiner starken Stahl-, Automotive- und Industriezuliefererstrukturen sowie der günstigen Lage in der Großregion seine Aufgaben übernehmen.

Insgesamt erwarten wir von der Wasserstoffstrategie, dass die Landesregierung die Rolle der staatlichen Akteure deutlich macht und aufzeigt, in welchen Bereichen und mit welchen Maßnahmen die öffentliche Hand auf den verschiedenen Ebenen (EU, Bund, Land, Kommunen) tätig werden muss. 

Darüber hinaus müssen Land und Kommunen sich über die notwendigen Voraussetzungen für eine gelingende Wasserstoffwirtschaft Klarheit verschaffen und diese auch transparent machen. Eine Wasserstoffstrategie kann nicht losgelöst von der Frage nach der Erzeugung des zur Wasserstoffherstellung benötigten grünen Stroms ausgearbeitet werden. Das Saarland wird zwar keinesfalls seinen Energiebedarf autark decken können. Der Austausch mit den Partnern in der Großregion ist daher essenziell, um den Anschluss an ein europäisches Wasserstoffnetz umzusetzen. Darüber hinaus muss der Ausbau eigener Kapazitäten zur Stromerzeugung aber weiter vorangetrieben werden. Um Bedenken mit Blick auf weiteren Ausbau von Wind- und Solarenergie abzubauen und Akzeptanz bei Beschäftigten sowie Bürgerinnen und Bürgern insgesamt zu schaffen, muss frühzeitig und umfassend über Ideen und Planungen beispielsweise im Hinblick auf Ausbaupfade zur Deckung des Bedarfs an grünem Strom informiert werden.

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